Laut war’s in der Innenstadt und meine Schlafqualität etwa bei 80%. Doch Irgendwas ist ja immer. Heute geht’s über den Brenner! Classico sozusagen. Doch erstmal etwas Essen. In Shorts, T-Shirt und langen CEP-Strümpfen knarze ich die mittelalterliche Holztreppe zum Frühstück. Mein ziviles Outfit passt komplett in die wasserdichte Rapha Lenkertasche. Das ist perfekt. Getrennt vom Rest und trocken verstaut in super leichten Drybags.
Nach Müsli, Ei und Kaffee geht es daran mein Equipment zu verpacken. Akribisch genau nach Plan damit alles rein geht. Oben drauf noch Regenzeugs. Fertig. Schleppe alles nach unten. Das Rad musste bekanntlich im Keller schlafen, weil komplett verdreckt. Mist vergessen. Das muss runter. Wasser hab ich in den Flaschen. Ok. Erstmal raus hier.
Vor dem Hotel erfinde ich die Rennrad-Katzen-Wäsche
Schmutz-Lack wieder runter. Ich mache mich auf den Weg. „Quietsch, quietsch…“ Die Kette! Mist. Öl habe ich nicht dabei. Gewichtsoptimierung. Eine Regenfahrt macht anscheinend so einiges an technischer Materialpflege zu Nichte. Wieder was gelernt. Die App findet einen Fahrradladen, ich das richtige Öl und die Kette wieder einen lautlosen Lauf um die Ritzel.
Den ersten Teil der Strecke kenne ich. Virtuell zumindest. „Achterbahn“ nennt Zwift die Strecke. Unter der Autobahn durch und scharf rechts hoch nach Igls und Patsch. Ohne Aufwärmrunde gleich gefühlte 45Grad hoch. Dafür sind die Ausblicke top, das Wetter auch. Ich mache mehr und mehr Höhenmeter bis sogar die Skischanze unter mir liegt. Der erste Griff zur Flüssignahrung bringt schlagartig eine neue Erfahrung. Wasser vergessen. Ich muss meine Erfindung von heute Morgen noch um einen Refill erweitern. Supermarkt! Wieder versorgt genieße ich auf den Spuren der Römer den steten Aufstieg zum Brenner. Immer an der Bergkante entlang. Der „alte“ Man und der Berg. Plus Rennrad – ok. Gone Exploring klingt besser.
Meine Route führt neben, unter und gefühlt auch über der Autobahn in Richtung Brennersee. Langsam macht sich auch mein Gepäck in den Beinen bemerkbar. Und wie. Es geht nur schleppend voran. Pause? Nein. Erst oben. Mit Gel wird’s schon funktionieren. Tut es. Doch hier und da verliere ich die die Orientierung. Im Google Stop-And-Go Modus finde ich den Weg.
Heute begrüßt: eine Eidechse, eine riesige Heuschrecke und drei weiße Gänse. Plus ein paar Ziegen und etliche Kühe.
Dann endlich Brennersee und Brennero! Pause. Pasta. Purzelbaum (geistig). Die Radroute nach Sterzing finde ich nur zufällig. Sie startet rechts vor der Kirche San Valentino – ohne Beschilderung. Doch die Italiener haben aus der alten Bahntrasse einen top Radweg gezimmert. Bravo! In film-reifer Kulisse rolle ich auf breit geteerter Strecke bergab Richtung Sterzing. Nach der Abfahrt schnell noch die Bidons nachfüllen (!) und weiter. Brunico ist angeschrieben. Nach der Ortsgrenze geht es auf den Lentweg, der sich erst zum Brenner-Brixen Radweg mausert und dann entlang der Autobahn zum besten Radweg der Welt entwickelt. Ernsthaft. Mit Mittelstreifen und Ausweichspur bergauf. Nicht zu glauben. Kurz vor der Festung Franzensfeste dann unter der A22 hindurch. Abzweigung Richtung Bruneck. Kopf einziehen!
Ohne Zeitvorgabe mein Abenteuer bewusst erleben.
Die Radautobahn schlängelt sich jetzt die Rienz entlang. Radweg 2.0. Der Südtiroler Tourismusverband versteht etwas von seinem Fach. Meine Routenplanung auch. Läuft. Bis Ehrenburg. Was solls. Die Aussicht ist fantastisch und ich bin nicht auf der Flucht. Mein Plan geht auf. Ich will über die Alpen kommen. Nicht aufgeben müssen. Ohne Zeitvorgabe mein Abenteuer bewusst erleben. Wald- und Schotterwege begleiten mich auf dem letzten Stück nach Bruneck. Gravel nennt die Bike-Industrie diese Sparte neuerdings. Meine schmalen Reifen finden das gar nicht lustig.
Bruneck. 117 km. 6 Stunden inklusive Brenner. Tagesziel erreicht. Meine Recherche hat das Hotel Blitzburg als Unterkunft ausgemacht. Zum Glück. Service, Zimmer und Restaurant will ich einfach empfehlen. Warum? Weil ich hier erlebe, wie hilfreich ein großzügiges Ambiente bei der Erholung ist. Danke. Ein guter Tag geht zu Ende. Meine Elektrolyt- und Gel-Rationen für die nächsten Tage sind Gott sei Dank auch angekommen. Mit der Post. Gewichtsoptimierung Teil 2. Heute bleibt noch genug Zeit, um meinen Begleiter aus Alu und Carbon zu putzen. Mein Rad darf blitz-blank heute Nacht auch im Zimmer schlafen. Platz habe ich nämlich mehr als genug. Plus Balkon und seliger Stille.





