Cortina 7:00 Uhr. Aufstehen. Muss mich sputen. Will unbedingt vor den angesagten Gewittern von diesem Berg runter. Frühstück, Regenklamotten und fertig. 9.00 Uhr Start bei 8 Grad und Regen. Nicht gut. Muss sein. Los geht’s.
177 km – die Königsetappe steht an. Ich rolle los in Richtung „Mare“.
Irgendwann merkst du den Regen gar nicht mehr. Die Straße ist gefährlich nass. Besonders wenn es steil bergab geht. Da weißt du nicht mehr ob es immer noch regnet oder nicht. Die glatte Strecke schlängelt sich den Berg runter. Ewig. Hört das jemals wieder auf? Checke andauernd die Strecke. Garmin. Smartphone. Doch. Alles richtig. Weiter. Bei dem Wetter ist zum Glück niemand unterwegs. Einsam lasse ich mich streckenweise auf der SS51 nach Ponte nelle Alpi einfach nur runter rollen. Vereinzelt auf ruhigen und tollen Nebenstrassen. Viel Spaß macht das trotzdem nicht wenn die Straße weggespült wurde. Umdrehen. Alternative finden.
Ponte nelle Alpi. Ok. In diesem Grau in Grau ist mir tatsächlich die Orientierung verloren gegangen. Kein Plan mehr wo Süden ist. Strava wird das 1:1 dokumentieren, denke ich mir kurz. (Nachtrag: Die richtige Route wäre gewesen, die SS51 weiter zu fahren, über die Piave drüber und dann links wieder auf der SS51 über Cadola weiter. Die SS51 kann man gut fahren in dem Abschnitt. Obwohl es nicht so aussieht, auf Google und anderen Portalen oder Bildern) Wieder auf Kurs. Endlich. Und weiter geht’s – vorbei am Lago di Santa Groce und Lago del Restello. Hier bin ich wieder mal laut Plan abgebogen. Dumme Idee. Wieder zurück auf die Hauptstraße. Nervt.
Nach 4 Std im Regen liegen die Berge hinter mir. Vittorio Veneto. Sonnenschein und warmes Wetter. Regenschutz ausziehen. Schnell auf die Satteltasche packen und los. Jetzt erst fällt mir auf das ich keine Bilder mehr gemacht hab. Dunkle Schatten auf hellem Grau will eh niemand sehen.
Es geht nur noch flach dahin. -1% Steigung. Kein Hügel mehr in Sicht. Dann eine Stimme. Ich fange an mit dem Rad zu sprechen. Denke die Strapazen zerren an der Kondition. Oder nur am Verstand? Was solls. Mein Monolog lässt die Fahrt kurzweiliger werden. Und bringt Entscheidungen mit sich. Ich verspreche dem Rad bis ans Meer zu fahren. Durch den Sand zum Ziel. Zusammen machen wir Kilometer um Kilometer. Werden das Biest Alpencross in die Knie zwingen. Heute zumindest. Mein neuer bester Freund und ich.
Jetzt geht‘s in Richtung Meer. Ich kann es riechen.
177km sind echt lang. Die nervige Fahrt am Vormittag hat Körner gekostet. Viele. Auf dem Weg durch die Piave-Ebene muss ich zwei Pausen einlegen. Kraft tanken. Essen. Es geht beim besten Willen nicht mehr weiter. Die Beine sind leer. Nach der letzten Pause melden sich Wille und Energie zurück. Der Schnitt passt und es geht voran. Die Landschaft zieht im Zig Zag Kurs an mir vorbei. Da ein Schild. Jesolo, 31km. Fast geschafft. Eraclea ist näher.
Wen habe ich heute begrüßt? Drei weiße Enten, zwei kauende Bieber und zwei Pferde am Hang. Plus zwei tote Igel und zweimal Roadkill mit Fell. Was, war nicht mehr zu erkennen. R.I.P.
Unterwegs verliere ich neben bei noch eine Wette über den Verlauf der Straße an das Rad. Hätte es besser wissen müssen. Mein Renner war mit mir schon mal in der Gegend. Egal. Dann sind meine letzten Reserven verbraucht. Ich setzte auf meine Endorphine, um mich über die letzten Kilometer zu retten – mein Versprechen einlösen. Dann der Kreisverkehr und die Überführung. Liegt hier der Teufelslappen? Ne hab mich getäuscht. Ist trotzdem nicht mehr weit. 3km noch.
Und dann sind wir da. An der Adria angekommen. Ohne Panne, Sturz oder Aufgabe. Mein Rad und ich. Nach 570km auf wenigen Umwegen von München nach Eraclea Mare. Es wird sich herausstellen, dass ich noch lange an diese emotionale Reise denken werde. Daran, was es bedeutet bei Regen zu starten, Widrigkeiten zu meistern und seinem Willen zu folgen. Es hat Spaß gemacht. Viel Spaß.
Wer sich fragt was das mit den Tieren sollte, der sei kurz aufgeklärt.
Natürlich war das Ziel der Reise das Abenteuer Aplencross zu erleben. Nur ich und mein Rad. Den Kopf frei bekommen und ganz auf sich gestellt die Strecke überwinden. Dabei kommt man auf lustige Gedanken. Einer davon war ein kleines Gedächtnisspiel. Tiere zählen, die mir begegnen, meinen Weg kreuzen oder neben diesem ihr Dasein bestreiten. Durch diese Beschäftigung wurden sie, wenn auch nicht persönlich zu einem Teil meiner Tour. Schön, dass ich euch begegnet bin.




